Nach Albanien bin ich im nächsten Transitland. Ich bin (bzw. war es bis gestern) im Kosovo. Als Optimist fällt es mir nicht leicht, über Pessimismus zu schreiben. Aber – so leid es mir tut – ich kann es nicht vermeiden, denn es ist nun einmal so: Besa, die ich im Städtchen Kacanik im Süden des Kosovos traf, hat resigniert.
Dabei war Besa vor 10 Jahren noch voller Hoffnung. Sie, die studierte Ökonomin und Tochter eines Rom und einer Serbin aus Kacanik, arbeitete damals als Übersetzerin und rechte Hand meines lieben Bekannten Volker aus Wandlitz, der seinerzeit als „line manager“ der EULEX-Beamten und „Station Commander Advisor“ in der serbischen Enklave Strpce im Süden des Kosovo arbeitete. Volker beriet den Wachenleiter der selbstständig arbeitenden Kosovo Polizei, hatte Einblick in alle Unterlagen und engen Kontakt zu KFOR, OSZE und den NGOs, die alle mit unterschiedlichen Aufgaben und Intentionen letztendlich dasselbe kurzfristige Ziel hatten: Frieden zwischen den im Kosovo lebenden Albanern und den Serben und anderen kleineren Minderheiten zu erhalten. Nach dem Kosovokrieg 1999 war dieser formal weiterhin der Bundesrepublik Jugoslawien zugehörige Teil Serbiens ein UN-Protektorat. Im Februar 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig und wurde inzwischen von 114 der 193 UN-Mitgliedsstaaten anerkannt. Zur Unterstützung und Überwachung der rechtstaatlichen Entwicklung beschloss die EU schon im Februar 2008 die Entsendung der Mission EULEX Kosovo.
Volker, der als Polizeibeamter bereits schon Jahre vorher in anderer Mission im Kosovo stationiert war, hatte „gute Kontakte zur Bevölkerung“, wie er mir versicherte. „Serben und Albaner hatten wenig Probleme miteinander. Die traten nur dann auf, wenn sich Politiker einmischten.“ Nun, mein lieber Volker, wie ich jetzt von Besa erfahren habe, hattest Du durch Deine korrekte und freundliche Art (und die Bereitschaft, allen zuzuhören und nicht einfach von oben weg zu entscheiden) wohl entscheidenden Anteil daran, dass es während Deiner Zeit dort relativ harmonisch zuging. Besa lobt ihren damaligen Chef Volker in den höchsten Tönen, während sein amerikanischer Nachfolger nicht ganz so gut bei wegkommt: „Der hatte zu viele Aufgaben und war oft nicht vor Ort, wenn er gebraucht wurde.“ Allerdings sind die USA in wohl kaum einem anderen Land der Erde so beliebt wie im Kosovo. Und wo gibt es sonst noch so viel Ehrerbietung für Bill Clinton wie in Pristina?
Nach Ihrer Tätigkeit als Übersetzerin bei EULEX arbeitete Besa immer wieder mal „als Mitarbeiterin mit administrativen Aufgaben“ bis Januar 2018 für verschiedene andere internationale Organisationen. Die Mittfünfzigerin Besa würde sehr gerne wieder arbeiten, „aber in meinem Alter stellt mich niemand mehr ein.“ Besa lebt mit zwei Schwestern, mehreren Nichten und ihrer Mutter in einer Wohnung mit drei Schlaf- und einem Wohnzimmer. „Das ist aber nicht das Problem, wir sind ja alles Frauen. Das Problem ist das Geld. Momentan leben wir vom Einkommen einer meiner Schwestern, die als Grenzbeamtin arbeitet, und von der Minirente meiner Mutter. Diese reicht für wenig mehr als für die Medikamente, die sie für ihre Nierenerkrankung benötigt. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet und ist jetzt bitterarm. Und unser Präsident baut gerade einen Palast für sich und seine Familie.“ Besa hat resigniert. Sie glaubt weder daran, dass der Kosovo in die EU kommt („dann würden etwa eine Million Menschen aus dem Kosovo nach Deutschland gehen“), noch dass ein neutraler, unabhängiger Kosovo eine gute Zukunft hätte. „Mein Leben ist vorbei. Von dem Geld, was ich bei EULEX und den anderen Organisationen verdient habe, finanziere ich die Ausbildung meiner Nichten.“ Mir tut diese Frau leid, obwohl sie sicherlich Mitleid ablehnen würde. Das Leben ist nun einmal so.
Wir machen noch einen Spaziergang durch Kacanik und Besa zeigt mir die Doppelbrücke über den Fluss („die rechte ist alt und wir nennen sie die deutsche Brücke“) und die alte serbische Kirche („die wurde nicht zerstört, wie man ja sieht“). Serbische Familien wohnen allerdings nicht mehr in Kacanik, und auch die Roma, die früher hier lebten, sind nicht mehr da. „Nur unsere Familie ist geblieben, ansonsten wohnen in Kacanik ausschließlich Albaner.“
Besa bringt mich noch zum Busbahnhof und winkt dem abfahrenden Bus nach. Ich fahre wieder zurück nach Pristina und dann reise ich weiter, dem nächsten Kleinstaat entgegen. Danke, Besa, dass Du so offen mit mir geredet hast. Ich wünsche Dir, Deiner Familie und allen Menschen im Kosovo, gleich welcher ethnischen Herkunft, alles Gute!